Ohnmacht ist eine Illusion 02.06.2024
In so vielen Situationen meines Lebens fühlte ich mich ohnmächtig und hilflos. Es war ein intensives Gefühl, das mich schwach, klein und allein fühlen ließ. Ich hasste es, weil ich mich ausgeliefert fühlte und überzeugt war, nichts ändern zu können. Doch dann passierte etwas, das alles veränderte.
Durch meinen Sohn bekam ich eine ganz neue Perspektive auf die Ohnmacht.
Mein Sohn ist 7 Jahre alt, und für ihn gibt es kaum etwas Schlimmeres, als fremdbestimmt zu werden. Wenn ihm jemand sagt, was er tun oder lassen soll, und er das Gefühl hat, ihm fehle die Wahl, reagiert er extrem. Er wird wütend, verliert die Kontrolle, schreit und weint. Anfangs hat mich sein Verhalten wahnsinnig gemacht. Es hat mich getriggert – wie kann man nur so die Fassung verlieren? Wir gerieten regelmäßig aneinander, ich brüllte zurück, und unsere Konflikte eskalierten. Danach fühlte ich mich schrecklich, machte mir Vorwürfe und wollte einfach nur, dass diese Situationen aufhörten.
Doch Widerstand löst keine Probleme. Irgendwann begann ich, die Situation zu reflektieren. Was löst diese Wut in ihm aus? Und warum triggert es mich so sehr? Ich überlegte, wie ich die Dynamik verändern könnte. Es war ein langer Prozess, der mich viel Geduld und Selbsterkenntnis gekostet hat.
Mittlerweile flippt mein Sohn immer noch aus, wenn er sich fremdbestimmt fühlt, doch ich gehe anders damit um.
Er fühlte sich hinterher einfach furchtbar und wollte die Kontrolle über sich selbst eigentlich gar nicht verlieren. Ich wollte ihm helfen, seine Gefühle besser zu verstehen, aber ich wusste lange nicht, wie.
Vor ein paar Tagen hatte ich dann eine Erkenntnis, die nicht nur mir, sondern auch meinem Sohn eine neue Sichtweise eröffnet hat: Wir sind niemals wirklich ohnmächtig. Wir sind niemals vollständig fremdbestimmt.
Selbst in Situationen, die uns unangenehm sind oder in denen uns Vorgaben gemacht werden, haben wir immer eine Wahl. Wir können entscheiden, wie wir mit der Situation umgehen – ob wir kooperieren oder uns dagegenstellen, ob wir uns ärgern oder nach Lösungen suchen. Ohnmacht ist eine Illusion. Sie blockiert uns, hindert uns am klaren Denken und hält uns davon ab, kreative Lösungen zu finden. Aber wenn wir das erkennen, können wir einen Schritt zurücktreten, durchatmen und die Situation neu bewerten. So wechseln wir vom Problemdenken ins Lösungsdenken – und gewinnen unsere Handlungsfähigkeit zurück.
Natürlich dauert es, alte Denk- und Handlungsmuster abzulegen und neue zu integrieren. Das braucht Zeit, Übung und Geduld. Aber die Erkenntnis, dass wir niemals wirklich ohnmächtig sind, ist der erste Schritt. Mein Sohn und ich sind gemeinsam auf diesem Weg, und ich weiß, dass wir es schaffen werden. Denn am Ende liegt die Macht immer bei uns – in unseren Gedanken, in unseren Entscheidungen und in der Art, wie wir mit dem Leben umgehen.


